Gestern war ein alptraumhafter Tag gewesen. Er h?tte viel darum gegeben, wenn es nur ein Alptraum gewesen w?re. Aber das konnte es nicht sein, denn sonst w?re er schon l?ngst aufgewacht. Genauer gesagt war nicht nur der gestrige Tag furchtbar gewesen, sondern auch der jetzige Moment war schrecklich. Im Augenblick stand er einfach nur da an diesem frühen, sonnigen Oktobermorgen. Er trug seinen Rucksack über dem Rücken, atmete in kurzen und flachen Atemzügen die vom intensiven Regen der vergangenen Nacht feuchte Luft ein und war wie gel?hmt. Unschlüssig, einen Schritt nach vorne zu machen. Da war diese Mauer.
- Q' G" ?, c4 n5 e! a2 E% M* L# C Glauben konnte er es bis jetzt immer noch nicht, obwohl der Kleine tot war, für immer ausgel?scht wie ein kleines Feuer durch einen Eimer kalten Wassers. Auch, nachdem er ihn fast zehn Minuten mit Tr?nen in den Augen angesehen hatte, wie er tot am Boden seines K?figs lag, war es unm?glich für ihn, sich zu überzeugen, dass sein ehemaliger Freund sein Leben zu Ende gelebt hatte. Aufgeh?rt hatte, sein Freund zu sein. Peters Augen hatten gesehen, aber sein Verstand hatte hinterhergehinkt wie ein alter, gebrechlicher Greis. Er konnte es nicht fassen so wie jemand, der seit zwanzig Jahren Lotto spielt, erst einmal realisieren muss, dass er den Jackpot mit sechs Richtigen ausger?umt hat. Peter hatte ihn sogar mehrmals mit dem Zeigefinger angestupst. Gehofft, er würde dadurch aufwachen aus seinem, wie er sich in Gedanken einredete, tiefen Schlaf und seine kleinen Vogelaugen ?ffnen. Aber das passierte natürlich nicht. Der Kleine hatte sich nicht mehr gerührt und jetzt h?tte nur noch ein Wunder helfen k?nnen, aber Wunder gab es auf dieser Welt nicht. Kleine Wunder, die streng genommen eigentlich keine waren, gab es durchaus, aber um Sammy wieder lebendig werden zu lassen, h?tten diese Art von Wunder nicht ausgereicht. Trotzdem hatte Peter bitte lieber Gott, mach das er wieder atmet gedacht. Mach, dass er wieder einen seiner kleinen Flügel bewegt oder sonst ein Lebenszeichen von sich gibt. Lieber Gott, ich verspreche dir auch, dass ich jeden Sonntag brav und artig in die Kirche gehe. Wenn du ihn mir wieder zurückgibst, verspreche ich dir sogar, dass ich auch die Abendmesse samstags besuche. Dabei hatte er mit feuchten und ger?teten Augen nach oben zur wei?en Decke der Küche geblickt, die kalten H?nde gefaltet und sein flehender Blick h?tte das Herz eines jeden Menschen zum Schmelzen bringen k?nnen. Aber nicht Gottes Herz, wenn er denn eins hatte und überhaupt zuh?rte.外语学习网
" S6 Z2 M7 C. L$ U; B. N0 Q0 g Der kleine Vogel regte sich kein bisschen mehr, weil Gott es so wollte und schlief den ewigen Schlaf der Toten.
; C! X3 B7 T0 O0 n5 X Nie wieder würde er Peter sanft des Morgens mit seiner lauten und schrillen Vogelstimme wecken, wenn die ersten Sonnenstrahlen durch die Ritzen der Jalousie fielen. Nie wieder würde er ihm die schwarzwei?en, gro?en Futterkerne, die Peter ihm manchmal an die Gitterst?be des K?figs gehalten hatte, mit seinem Schnabel aus Daumen und Zeigefinger entrei?en, um sie dann zu knacken und das Innere genüsslich zu fressen. Nie wieder würde er ihn mit seinen sympathischen Vogelaugen anblicken, die oft nachdenklich gewirkt hatten und eine eigene Geschichte zu erz?hlen hatten. Eine Geschichte, die Peter nie erfahren hatte. Eine Geschichte, die der Kleine mit in sein Grab genommen hatte. Das Alles war für immer vorbei.
( K0 Q! M$ j! P4 r8 G, Q) L. m Jetzt stand Peter mit dem blauen Rucksack in der N?he des Waldes. Den Rucksack hatten ihm seine Eltern zum letzten Weihnachten geschenkt. Er war gro? und ger?umig und es passten jede Menge Bücher und Hefte hinein. Dieser Vorteil barg jedoch den Nachteil, dass das Ding dann verdammt schwer wurde und wenn Peter an manchen Schultagen verschwitzt und müde nach Hause kam und sich das schwere Ungetüm abstreifte, fühlte er sich unendlich erleichtert.9 d; I5 L4 o' z
Der Junge hatte den Rucksack vorher gründlich entleert und die Schulsachen lagen nun auf dem Boden seines Kinderzimmers verstreut. Als Gep?ck führte er unter anderem eine aus Holz gebastelte kleine Kiste mit. Er hatte sie damals im Werkunterricht in der Grundschule angefertigt und seitdem war sie auf einem Regal über seinem Bett gestanden. Er hatte eigentlich nie gewusst, für was so ein Ding gut sein konnte, au?er das man es irgendwo hinstellen konnte so wie man ein Bild an die Wand h?ngt, so dass es jeder sehen kann. Bis gestern. Gestern Abend hatte er, nachdem er wieder einigerma?en klar denken konnte, einen Einfall gehabt. Er würde die Kiste als Sarg benutzen und sie zusammen mit dem Kadaver drau?en im Wald an einem einsamen Platz vergraben. Aber selbst, als er den Kleinen vorsichtig mit seiner Hand aus dem K?fig herausgehoben, in die kleine Kiste aus Holz hineingelegt hatte und dabei den ungew?hnlich kalten K?rper gespürt hatte, hatte er es nicht richtig glauben k?nnen. Als würde ich tr?umen, hatte er gestern gedacht. Wenn es ein Traum ist, dann hoffe ich, dass ich bald aufwachen werde. Die Hoffnung war in dem Moment immer gr??er geworden wie ein Ballon, den man aufbl?st und mit einem Mal war sich Peter v?llig sicher gewesen. Er hatte fast gel?chelt. Er war wieder in seiner Welt des Wunschdenkens gewesen. Eine Welt, in die er ?fters in seinem Leben geflüchtet war so wie man vor einem ungew?hnlich kalten Winternachmittag flieht, indem man nach Hause l?uft, um dort vor der voll aufgedrehten Heizung und in dicke Decken gepackt, einen hei?en Tee zu genie?en. Eine Welt, in der der Himmel immer blau und wolkenlos war, wo es nie K?lte und Dunkelheit gab, wo kein Leid, keine Schmerzen, keine Niederlagen existierten und wohin der Tod nie kommen würde. Sein kleiner Freund konnte unm?glich tot sein und wenn er doch tot war, dann musste es ein Traum sein. Eine Stimme, die er kannte, hatte geflüstert: Alles nur ein Traum. Ja. Ich werde die Augen aufschlagen, feststellen, dass es sieben Uhr morgens ist und dass der kleine Sammy auf seiner Stange sitzt. Lebendig. Und ich werde mich erleichtert wieder umdrehen und mich an die Volksweisheit erinnern, dass wenn jemand im Traum stirbt, man dadurch sein Leben verl?ngert hat. Glücklich und zufrieden werde ich dann wieder einschlafen. |